Aushängeschild

Baumschlager Hutter Partners
14. agosto 2020
Gesamtansicht (Foto: Lukas Schaller)
Worin liegt das Besondere an dieser Bauaufgabe?


Unser Gebäude besteht aus einem rechtwinklig angelegten Teil mit drei Obergeschossen und einem zweigeschossigen im Norden. Besonders wichtig war uns die Integration der Anlage in die bestehende städtebauliche Situation. Wir haben daher die Traufhöhen der Nachbarliegenschaften an der Peter-Jordan-Straße aufgenommen. Um angemessen auf die Maßstäblichkeit der Umgebung und das enge Grundstück zu reagieren, haben wir uns dafür entschieden, den oberirdischen Baukörper baurechtlich nicht maximal auszunutzen, sondern viele Nutzungen unterirdisch anzuordnen. 50 Prozent des Gesamtvolumens befinden sich schlussendlich unter der Erde. 

Welche Inspirationen liegen diesem Projekt zugrunde?


Es ging uns darum, ein sehr vielfältiges Raumprogramm in einer gemeinsamen Hülle unterzubringen: Das Gebäude beherbergt drei Institute mit 65 Mitarbeiter*innen, Büros für die Hochschülerschaft, die Mineraliensammlung mit Übungsraum, diverse Lehr- und Arbeitsräume, eine Mensa, das selbstverwaltete Lokal »Tüwi« mit Gastgarten und Hofladen sowie einen Hörsaal, der bis zu 400 Personen fasst.

Straßenansicht (Foto: Lukas Schaller)
Wie hat der Ort auf den Entwurf eingewirkt?


Wie schon erwähnt, war uns die Eingliederung des großen Baus in seine Umgebung besonders wichtig. Das Volumen ist präzise gegliedert: Dass wir zwei unterschiedliche Gebäudehöhen verwirklicht haben, erwähnte ich bereits. Zudem verfügt die Anlage über zwei Trakttiefen und einen eingeschnittenen Patio, der belichtete Flächen im ersten Untergeschoss schafft. Letzteres ist wichtig, ermöglichte es uns doch die unterirdische Anordnung zusätzlicher Lern- und Aufenthaltsbereiche.

Inwiefern haben Bauherrschaft, Auftraggeber oder die späteren Nutzer*innen den Entwurf beeinflusst?


Wir waren seitens der Bauherrschaft beziehungsweise unserer Auftraggeber mit hohen Anforderungen hinsichtlich der effizienten Raumausnutzung und der energetischen Standards konfrontiert. Die Nutzung alternativer Energiequellen wurde dezidiert verlangt. Von der Nutzerseite wiederum waren Freiräume für die Österreichische Hochschülerschaft und den TüWi Verein gefordert.

Blick auf den Patio, der Licht ins erste Untergeschoss bringt. (Foto: Lukas Schaller)
Gab es bedeutende Projektänderungen vom ersten Entwurf bis zum vollendeten Bauwerk?


Wir mussten verglichen mit dem ersten Entwurf die Kubatur verringern, um das Budget einzuhalten. Damit dies nicht zum Nachteil für die Qualität des Gebäudes wird, mussten wir Konzepte für die Mehrfachnutzung von Räumlichkeiten entwickeln. So kann nun beispielsweise die Mensa auch als Lernraum genutzt werden.

Wie gliedert sich das Gebäude in die Reihe der bestehenden Bauten des Büros ein?


Unsere Architektur soll zeitgemäß, doch nicht zeitgeistig sein. Uns interessieren die drängenden Fragen der Zeit, nicht schicke Moden oder trendige Gestaltungen. Beim Türkenwirtgebäude haben wir uns deshalb beispielsweise – unterstützt und gefördert durch Bauherrschaft und Auftraggeber – viele Gedanken über Nachhaltigkeit und Lebenszyklus-optimiertes Bauen gemacht. Wir haben eine hoch-energieeffiziente Gebäudehülle in Passivhausstandard entwickelt. Die Gebäudeausstattung ist überaus effizient und technisch sehr innovativ. Die Gebäudezone mit universitärer und büroähnlicher Nutzung erreicht Plusenergie-Standard. Und wir haben darauf geachtet, mit ökologischen, schadstoff- und PVC-freien Produkten zu arbeiten. Baustoffe, deren Verwendung aus ökologischen Gründen fragwürdig ist, haben wir umsichtig und bewusst eingesetzt. So wurde zum Beispiel Stahlbeton nur verwendet, wo dies aus statischen Gründen geboten oder für die Bauteilaktivierung als Speichermasse von Nöten ist. So konnte das neue Türkenwirtgebäude bei seiner Fertigstellung 2018 als erster Bildungsbau in allen Kategorien der ÖGNI-Bewertung die höchste Qualitätsstufe »Platin« erreichen.

Die Mensa kann auch als Lernraum genutzt werden. (Foto: Lukas Schaller)
Der Hörsaal bietet 400 Student*innen Platz – das erste Audimax der Wiener Universität für Bodenkultur. (Foto: Lukas Schaller)
Beeinflussten aktuelle energetische, konstruktive oder gestalterische Tendenzen das Projekt?


Ich ließ schon durchblicken, dass wir den Klimawandel für ein extrem wichtiges Thema halten, zu dem auch die Architektur, ja die ganze Bauwirtschaft Antworten finden muss. Auf dem Dach befindet sich, darauf sind wir daher besonders stolz, ein Forschungsprojekt im Bereich Photovoltaik. Die Dachfläche mit Garten dient gleichzeitig der Energieerzeugung und als Aufenthaltsbereich.

Welches Produkt oder Material hat zum Erfolg des vollendeten Bauwerks beigetragen?


Für die ästhetische Wirkung des Gebäudes ist die Fassade aus unbehandeltem Lärchenholz besonders wichtig.

Stiegenaufgang (Foto: Lukas Schaller)
Situation
Grundriss 1. Untergeschoss
Grundriss Erdgeschoss
Grundriss 1. Obergeschoss
Schnitt A und B
Name des Bauwerks
Türkenwirtgebäude der Wiener Universität für Bodenkultur
 
Standort
Peter-Jordan-Straße 72, 1190 Wien
 
Nutzung
Hochschule
 
Auftragsart
Generalplanung
 
Bauherrschaft  
Bundesimmobiliengesellschaft mbH
 
Architektur
Baumschlager Hutter Partners, Standort Wien
Projektleitung: Miriam Isabel Seiler, Gerhard Müller
Assistenz: Sandra Frey, Veronika Fiedler, Adrian Huegel, Charissa Aumayr, Ricarda Kohler, Nikolaus Gartner, Julia Gross
 
Fachplaner 
Landschaftsarchitektur: rajek-barosch Landschaftsarchitektur
Statik: Buschina&Partner
Haustechnik: HL-Technik München, pgg blueberg control GmbH
 
Bauleitung 
Granit GmbH
 
Jahr der Fertigstellung
2018
 
Gesamtkosten
EUR 20 Mio. (inklusive Abbruch)
 
Gebäudevolumen 
29'656 m3
 
Energiestandard 
Gesamtenergieeffizienzfaktor: fGEE = 0,29, Klassifikation A++ 
Die Gebäudehülle und die Lüftungsanlagen entsprechen den Qualitätsanforderungen für Passivhäuser gemäß den Empfehlungen des Passivhaus-Instituts. Der Zielwert für Niedrigstenergiegebäude (lt. ÖN B 8110-1:2011) wurde um rund 50 Prozent unterschritten.
 
Auszeichnung 
Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit 2019, ÖGNI Platin
 
Fotos
Lukas Schaller, Wien