Sehnsucht nach Extravaganz: Hertl.Architekten überzeugen mit einem radikalen Umbau

Elias Baumgarten
4. febbraio 2022
Illustration: world-architects.com, basierend auf einem Foto von Faruk Pinjo
»Das Projekt ist als Maßnahme zur Nachverdichtung zu begreifen. Es ist von uns sowohl sozial als auch energetisch nachhaltig gedacht. Der Umbau nutzt, so radikal er auch erfolgt ist, doch gebundene graue Energie.«

Gernot Hertl

Etliche großartige Umbauten von österreichischen Architekt*innen haben wir im vergangenen Jahr in unserer Rubrik Bau der Woche gezeigt. Viele davon waren sehr feinfühlig, andere überformten den Bestand stärker. Kaum einer aber war so radikal wie die Umgestaltung dreier Bauten auf dem Campus des Berufsförderungsinstituts Oberösterreich in Linz. Gerade das hat Sie überzeugt: Dass Hertl.Architekten Extravaganz und eine extrem auffällige Fassade mit wallenden Vorhängen mit einer klugen Maßnahme zur Nachverdichtung verbunden haben, brachte ihnen an unserer Leserwahl zum Bau des Jahres 2021 die meisten Stimmen ein. 

»Im Inneren sollte eine entspannte Umgebung für die Besucher und Lehrenden entstehen. Gedämpfte Atmosphären prägen die übersichtliche Struktur, in der man sich gut orientieren kann. Nischen, Lufträume und schlanke Patios führen Tageslicht in die Tiefe und bieten Begegnungsräume zum Innehalten, Tratschen oder auch für die Vorbereitung auf den Unterricht.«

Gernot Hertl

Foto: Faruk Pinjo
Foto: Faruk Pinjo
Rang zwei: Baumschlager Hutter, Falginjochbahn (Foto: Albrecht Imanuel Schnabel)
Foto: Albrecht Imanuel Schnabel
»Der Kaunertaler Gletscher und die Bergwelt rundherum sind eine mächtige und einzigartige Kulisse. Wir wollen, dass diese trotz der touristischen Nutzung und unseres Eingriffs so unversehrt wie möglich bleibt. Unser Projekt soll als minimal gelesen werden, im Sinne von ›less is more‹.«

Carlo Baumschlager

Spagat zwischen Landschaftsschutz und touristischer Nutzung – Rang zwei für die Falginjochbahn

Einerseits hat der Tourismus für viele Regionen in den Alpen eine enorme wirtschaftliche Bedeutung. Andererseits jedoch gefährdet er die sensible Natur. Hinzu kommt, dass touristische Infrastrukturen leider nur selten als Architekturaufgabe aufgefasst werden. Dies führt oft zu Bauten, die die wertvolle Gebirgslandschaft verschandeln. Mit der Falginjochbahn am Kaunertaler Gletscher aber ist der Spagat zwischen touristischer Nutzung und Landschaftsschutz gelungen. Die Anlage wurde von Baumschlager Hutter so entworfen, dass sie sich mit möglichst kleinen Eingriffen und in möglichst kurzer Zeit bauen ließ. Konstruktion und Mechanik werden offen gezeigt, was entscheidend zur gestalterischen Qualität des Bauwerks beiträgt.

Rang drei: LP architektur, Auferstehungskapelle Straß (Foto: Albrecht Imanuel Schnabel)
Foto: Albrecht Imanuel Schnabel
»Es ist für uns ein sehr wertvolles Projekt, mit dem wir unsere Haltung zur Architektur und Baukultur in einer ungeschminkten und ehrlichen Art zum Ausdruck bringen durften, eine Bereicherung für uns alle.«

Tom Lechner

Rang drei: Baukultur bedeutet Geduld, Diskurs und Ausdauer

Ein neues Gebäude entsteht nicht aus der vermeintlichen Genialität eines Architekten, sondern weil viele Menschen es wollen. Dass es bei entsprechend vielen Interessen zu Konflikten kommen kann, liegt auf der Hand. Streit um Gestaltungsfragen gibt es häufig. Auch die wunderbare Auferstehungskapelle in Straß von LP architektur ist das Ergebnis einer langen und wechselvollen Geschichte. Zunächst war die Skepsis gegenüber dem Entwurf groß. Die Bauherrschaft davon zu überzeugen, gewohnte Wege und Vorstellungen hinter sich zu lassen, war schwierig. Zwischenzeitlich entschied sie sogar, mit anderen Gestaltern zu arbeiten. Doch ein Jahr später raufte man sich wieder zusammen. Danach genoss das Team von LP architektur großes Vertrauen und konnte einen atmosphärisch reichen Raum schaffen. Das überaus ästhetische Gebäude am Rande einer aufgelassenen Schottergrube beeindruckt durch den Umgang der Architekten mit Licht, ihre gekonnte Bezugnahme auf den Ort, ihr Gespür für Materialien und die Präzision in der Umsetzung. Das Projekt ist, was Architektur sein sollte: Eine großartige Gestaltung und die gebaute Manifestation eines geduldig und mit Beharrlichkeit ausgehandelten Konsenses. 

Foto: Albrecht Imanuel Schnabel
Foto: Albrecht Imanuel Schnabel

Wir gratulieren den Architekt*innen der drei beliebtesten Projekte aufs Herzlichste. Zugleich möchten wir uns bei Ihnen bedanken: Bei der heurigen dritten Auflage unserer Leserwahl wurden mehr als doppelt so viele Stimmen abgegeben wie bei der zweiten. Das ist ein großer Erfolg für unser junges Magazin, der uns frische Motivation gibt. 


Im letzten Jahr gewann das Innsbrucker Team von Snøhetta mit dem Hauptsitz des Reiseveranstalters ASI.

2020 triumphierte das Büro ASAP Hoog Pitro Sammer mit der Wohnüberbauung »Schöne Aussichten«.

Eine schöne Geschichte schrieb die Wahl zum Bau des Jahres diesmal in unserem Schweizer Partnermagazin: Die junge Architektin Saikal Zhunushova gewann mit ihrem Erstlingswerk, einem kleinen Umbau, bei dem sie ökologische Nachhaltigkeit mit einfachsten Mitteln und Naturbaustoffen erreichte.