Gegen Lärm ist ein Vlies gewachsen

Martina Metzner
1. November 2017
Kann’s gemütlich machen, aber auch Lärm absorbieren: Sitzbezug «Ragamuf» aus Stoffresten. (Bild: Ragamuf)

Eine universelle Sprache finden, die über alle kulturellen und geografischen Grenzen hinweg gültig ist, das strebt seit über 50 Jahren die amerikanische Künstlerin Sheila Hicks an, deren Installation wohl kaum jemand entgangen sein dürfte, der sich dieses Jahr zur Kunstbiennale nach Venedig aufgemacht hatte: Medizinballgroße, in satten Primärfarben gehaltene Wollknäule türmten sich da im Arsenale auf, sodass man sich am liebsten wie im Kinderspielparadies einer Möbelkette hätte reinfallen lassen wollen.

Genau jener Moment ist es, den Stoff ausmacht – man mag ihn berühren, reingreifen, sich von ihm umhüllen lassen. Seit Urgedenken bedecken, bekleiden, absorbieren, schmücken, schützen, wärmen Textilien. Dass wir eine Rückbesinnung aufs Stoffliche erleben, mag daher nicht verwundern – hat doch die Architektur in den vergangenen Jahren Gardinen und Teppiche aus den Räumen erfolgreich verbannt. Aber nicht nur der Mangel an dieser sinnlich-taktilen Erfahrung ist es, sondern auch ein ganz pragmatischer: Schall wurde zu einem Problem. Und damit zu einem neuen Markt. Schallabsorbierende Paneele am Arbeitstisch, als dekoratives Element an der Wand oder kokonartige, mit reichlich Stoff ausgestattete Sitzgelegenheiten, in die man sich zum geräuscharmen Telefonieren zurückziehen kann, zeigen: Textilien reduzieren die Geräuschkulisse erheblich. 

Die neue Interior.Architecture.Hospitality Expo in Halle 4.2 der Heimtextil ist Ausgangspunkt für die Guided Tours von World-Architects. (Bild: Heimtextil)

Die Rückkehr alter Bekannter
Aber auch der Lust auf mehr Farbe und Muster im Raum, die unter dem Stichwort Eklektizismus zunehmend in die Zimmer Einkehr hält, ist es zu verdanken, dass Stoff wieder mehr eingesetzt wird. Man denke da nur an die Perserteppiche, die zunächst als ausgedientes Exemplar in Berliner Hipster-Cafés Verwendung fanden und dann schließlich als nobles Vintage-Stück in den Häusern der Besserverdienenden. Oder gar an das wiederauflebende Interesse an Samt – zunächst auf dem Laufsteg ausgelöst von Dries van Noten und dann durch seinen Kollegen Raf Simons aufs Interior Design übersetzt mit der Möbelstoff-Kollektion für den dänischen Anbieter Kvadrat.

Für Felix Diener, Textildesigner in Düsseldorf, steht fest: „Es ändert sich gerade etwas im Umgang mit Textil im Raum.“ Allerdings, so gibt der Kreative zu bedenken, sei die «traditionelle Textilexpertise» über die Jahre verloren gegangen. Heute könnten Gestalter kaum mehr einen billigen von einem qualitativ hochwertigen Stoff unterscheiden oder etwa, ob es sich um Baumwolle, Wolle, Viskose oder Polyester handelt. „Architekten und Innenarchitekten müssen das neu lernen.“  

Ob als Paneel, Gardine oder sogar Tapete: Auf der Heimtextil gibt es diverse textile Akustiklösungen. (Bild: De Vorm)
Der zunehmend kleinere Wohnraum erfordert modulare Möbel wie dieses Sofa von Hannabi. (Bild: Hannabi)

Mit Experten auf Textil-Tour
Um die Edelsten, Funktionalsten und Adäquatesten unter den mannigfaltigen Angeboten an Stoffen zu finden, werden World-Architects zusammen mit Experten auf Trüffelsuche auf der kommenden Heimtextil gehen – der internationalen Messe für Wohn- und Objekttextilien, die vom 9. bis 12. Januar 2018 in Frankfurt am Main ihre Türe öffnet. Die von Architekten und Innenarchitekten wie Alexander Brenner oder Sabine Krumrey (brandherm + krumrey) geführten Touren finden an allen Tagen der Messe zu jeweils einem spezifischen Thema statt. Näheres erfahren Sie am Ende des Berichts.

Ebenso interessant, weil kompakt dürfte sich das neue Ausstellungsformat in der sich die Sonderschau in der neu hinzugenommenen Halle 4.2 darstellen, bei der sich Anbieter von objekttauglichen Stoffen präsentieren: Auf der Interior.Architecture.Hospitality Expo haben Fachbesucher die Möglichkeit, sich mit ihren aktuellen Projekten direkt an die ausstellenden Firmen zu wenden, um gemeinsam Lösungen für konkrete Gestaltungs- oder Anwendungsfragen zu finden. Teilnehmende Unternehmen sind Drapilux (DE), Forster Rohner (CH), Low & Bonar (DE), Chieftain Fabrics (IRL), Gerriets (DE), Griffine (FR), Senfa (FR) und Maasberg (DE). Vorträge und Veranstaltungen von weiteren Partnern wie der AIT, der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ), dem Bundesverband der Innenarchitekten (BDIA) sowie ein Salon zum Networken runden das Programm auf der Interior.Architecture.Hospitality Expo ab. Hilfreich ist zudem das spezielle Ausstellerverzeichnis, der Interior.Architecture.Hospitality Guide, mit dem man die passenden Hersteller von Möbel- und Dekorationsstoffen auf der Heimtextil leicht findet; insgesamt 435 Aussteller (von insgesamt über 3.000) mit speziellen Angeboten für die Objektausstattung sind für 2018 gelistet. Damit verstärkt die Heimtextil noch einmal mehr ihr Angebot speziell für Architekten, Hoteleinrichter und Objektplaner. „Eine kuratierte Auswahl innovativer Gewebe oder Technologien erleichtert es dem professionellen Besucher, innerhalb des breiten Spektrums Orientierung und Inspiration zu finden“, wie Innenarchitektin Ushi Tamborriello, die am Think Tank zum neuen Format beteiligt war, bestätigt.

Guided Tours org. by World-Architects: Klaus de Winder (de Winder Architekten), Alexander Brenner (Alexander Brenner Architekten), Jana Vonofakos (VRAI interior architecture), Sabine Krumrey (brandherm + krumrey), Lien Tran (Lien Tran Interior Design), Dorothee Maier (meierei Innenarchitektur | Design) und Lisa Pavitschitz (World-Architects).

Gegen Feuer und Schall
Gerade schwer entflammbare Stoffe haben in den vergangenen Jahren eine enorme Entwicklung gemacht. „Heute gibt es Objektstoffe, die wirklich nach Leinen oder Wolle aussehen – auch, wenn der «Griff» noch schwierig ist“, erläutert Textildesigner Diener, der selbst objekttaugliche Stoffe entwickelt. Wer auf der Suche nach den abriebs-, feuer- und sogar wasseresistenten Gewirken und Geweben ist, der dürfte an Trevira CS nicht vorbeikommen. Ein Besuch auf der Sonderschau des Marktführers in Halle 4.2, Stand H71 der Heimtextil, der dort zusammen mit 18 Partnerunternehmen wie die österreichische Weberei Stieger oder die für ihre afrikanischen Damaststoffe bekannter Hersteller Getzner Textil ausstellt, wird Auskunft geben, was die hochspezialisierten Garne – insbesondere zum Thema «Akustik» – so alles leisten können. Auch Innovationen hat Trevira CS im Gepäck: zum Beispiel ein phosphoreszierendes Garn, das bereits nach kurzer Lichteinwirkung bis zu sieben Stunden nachleuchtet oder ein hochfestes, permanent flammhemmendes Texturgarn, das eine besonders hohe Festigkeit bei geringerer Dehnung aufweist und damit zum Beispiel für Wandbespannungen interessant ist. Insgesamt haben auch die anderen Hersteller ihr Angebot an Objekttextilien ausgebaut – und vor allem verfeinert.

Natürlich macht auch bei den Tapeten – traditionell stark auf der Heimtextil in Halle 3.1 vertreten – die Anforderung nach akustischen Lösungen nicht Halt. Hat schon vor zwei Jahren etwa die auf den Contract-Markt spezialisierte Marke Architects Paper von A.S. Création mit «Magnetic Acoustic Pads» magnetisch haltbare Wandpaneele aus Filz vorgestellt, dürfte diese Neuheit noch einen Schritt weitergehen: Norafin wird eine reißfeste Vliestapete aus Flachsfasern präsentieren, die schalldämpfende und isolierende Eigenschaften aufweist. Obendrein ist die Tapete zu 100 Prozent kompostierbar und fördert durch ihre natürlichen Materialien das natürliche Raumklima. Aber auch in puncto Dekoration ist ordentlich was los auf der Wand: So darf man etwa gespannt sein auf die neue Kooperation der belgischen Firma Arte mit dem jungen Unternehmen Flavor Paper aus Brooklyn, New York. Keine Panik, es wird keine Tapete mit Erdbeergeschmack (das hatten wir ja bereits in den 90ern), sondern besonders fantasievolle und exotische Drucke. Arte gehört neben Élitis, der Marburger Tapetenfabrik und Omexco zu den Kreativsten der Branche.

Gerade in den vergangenen Jahren konnte man gut beobachten, wie die Raffinesse von Tapeten zugenommen hat – ob mit Linien wie der «Le Corbusier» von Arte oder der «Crush» von Marburger, die das Thema 3D beziehungsweise Struktur gemeinsam haben. Dass Tapeten mittlerweile wieder handgemacht werden, beweist auf der kommenden Heimtextil übrigens nicht nur Tapetenkreateur Ulrich Welter aus Berlin, der weltweit beispielsweise die Chanel-Boutiquen mit seiner mit Perlen bestickten Tapete schmückt, sondern auch die Marburger Tapetenfabrik, die seit vergangenem Jahr mit der Werkstatt «Horus» kooperiert und 36 Tapeten im Programm hat, darunter auch einige Echtmetalltapeten mit Kupfer oder Blattgold.

Rahmig & Partner können Flächen bis 3 Meter in außergewöhnlicher Weise besticken. (Bild: Rahmig & Partner)
In Zusammenarbeit mit der Werkstatt Horus präsentiert die Marburger Tapetenfabrik nun auch handgemachte Tapeten. (Bild: Marburger Tapetenfabrik).

Smarte Technologien, satte Farben
Insbesondere der Theme Park, die Trendschau der Heimtexil, die seit Jahren in abwechselndem Turnus von international führenden Trendagenturen ausgerichtet wird, verspricht dieses Mal einen fokussierten Blick durchs Schlüsselloch zu geben. Die von der Londoner Agentur Franklin Till entwickelten Themen orientieren sich nicht alleine an der Textil-Welt, sondern fassen das Spektrum größer. Unter dem Titel «The future is urban» brechen die Londoner übergeordnete Trends auf die Branche runter. So wird das wachsende Bedürfnis nach modularen Möbeln für einen immer kleiner werdenden Wohnraum aufgegriffen wie auch Möglichkeiten der Entspannung im hektischen Stadt- und Berufsleben, der Wunsch nach authentischen, von Hand gemachten Produkten und natürlich der Rückbesinnung auf die Natur.

Textilien können da dank ihrer Materialqualität, neuen innovativen und smarten Technologien aber auch durch Farbe eine nicht unerhebliche Rolle im Gesamt der Innenarchitektur spielen. Dass die Farbwelten, die die Trendagentur prognostiziert, so divers sind wie die Strömungen, überrascht da kaum. Die Zeit, in der man sich an einer, maximal zwei Trendfarben orientieren konnte, ist längst vorbei. So stellt auch Pantone für 2018 mehrere Farbpaletten vor. Ob Pantone oder Franklin Till: Übergeordnet lässt sich dennoch feststellen, dass nach den vielen Pastellwelten wieder zu satteren Farben gegriffen wird. Was perfekt zum Textilen passt: Denn kaum ein anderes Material kann Farbe so leuchtend, brillant und lebendig transportieren wie Gewebtes, Geknüpftes oder Gewirktes. Sheila Hicks hat es uns im Arsenale nur zu deutlich vor Augen geführt. 

Satte Farben und viel Stoff im Arsenale zur Kunstbiennale in Venedig: die Installation von Sheila Hicks. (Bild: Annie Dalbéra)
Der «Architecture Think Tank» der Heimtextil: Peter Ippolito (Ippolito Fleitz Group), Ushi Tamborriello, Martin Lesjak (INNOCAD Architektur) und Tamara Pallasch (Pallasch Interiordesign).

Martina Metzner arbeitet als freie Design-Journalistin in ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main. Nach Tätigkeiten im Modefachjournalismus und bei Stylepark fokussiert sie sich auf die Themen Textilien und Nachhaltigkeit im Design. 

«Heimtextil» – internationale Messe für Wohn- und Objekttextilien
Vom 9. bis 12. Januar 2018
Messegelände Frankfurt am Main

Öffnungszeiten:
Dienstag – Donnerstag 9.-11. Januar: 9 bis 18 Uhr
Freitag 12. Januar: 9 bis 17 Uhr

Weitere nützliche Informationen rund um den Besuch finden Sie hier:
www.heimtextil.messefrankfurt.com

Guided Tours org. by World-Architects:
www.world-architects.com/heimtextil-2018-guided-tours

Alles rund um Trends, Events, Sonderschauen oder Awards:
www.heimtextil-theme-park.com
www.heimtextil-blog.com
​www.events.messefrankfurt.com